Im Juli 2011 gab es ein Jugend-Zeltlager der sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Norwegen auf der Insel Utoya. Ein damals 32jähriger Mann, Anders Breivik, der als Sportschütze legal Waffen und Munition besitzen durfte, fuhr dort hin, und erschoss 69 Menschen. Nach 79 Minuten wurde er von einem Sondereinsatz-Kommando der Polizei unverletzt festgenommen.
Als Motiv gab er an, Hass auf den Kultur-Marxismus, den Multikulturalismus und die regierende Partei Norwegens.
Im Januar diesen Jahres berichteten die Medien, dass der verurteilte Attentäter den norwegischen Staat wegen seiner Abschottung von anderen Häftlingen in den vergangenen elf Jahren verklagt hat. Seiner Argumentation zufolge verstößt die Isolation gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der „unmenschliche“ Behandlung von Gefangenen untersagt. Nach Ansicht seiner Psychiater und Gefängniswärter hat Breivik allerdings nichts an Gewaltbereitschaft verloren. „Seine Neigung zu grenzenloser Gewalt ist offensichtlich und seine Persönlichkeit verstärkt all diese Faktoren noch“, schrieb der Psychiater in seinem Gutachten.
Wer vor elf Jahren schon Nachrichten geschaut hat, sah, wie Breivik den Gerichtssaal betrat und vor laufender Kamera weinte. Seiner Meinung nach verdiente er ein Denkmal, nicht das Gefängnis. Die Mimik seines Gesichts und seine Worte vor Gericht wurden in den Nachrichtensendungen groß herausgezoomt. Schon am ersten Tag des Prozesses entbrannte in der Öffentlichkeit eine Diskussion: Wie viel Raum dürfen wir diesem Menschen und seinen Ideen einräumen? Diese Frage lässt die Zwickmühle deutlich werden, in der sich die Medienmacher manchmal befinden. Soll sich der Mörder von Oslo selbst inszenieren dürfen? Das will keiner. Aber andererseits ist da ein riesengroßes Interesse der Zuschauer an dem Attentäter, das Quote und Gewinn verspricht. Denn viele Menschen wollen Abartiges sehen. Und ich nehme das Wort „abartig“ im wörtlichen Sinn. Was Anders Breivik getan hat, ist nicht von menschlicher Art. Ihm fehlt eine ganz wichtige Eigenschaft des Menschen, nämlich menschlich zu sein. Aber das Unmenschliche triggert uns. Wir erschrecken, sind traurig, wütend, angeekelt, aber auch merkwürdig fasziniert. Die monströse Tat rührt an die dunkle Seite in jedem von uns. Das Böse, der Wahnsinn ist in jedem Menschen angelegt, und sucht sich einen Weg nach „draußen“. Gottlob sind wir alle vernunftbegabte Wesen, die sich überlegen und entscheiden können, welche inneren Impulse wir nach außen tragen, und welche nicht.
Im Evangelium dieses Gottesdienstes vergleicht Jesus die glaubenden Menschen mit Rebzweigen, die Früchte tragen. An den Früchten erkennt man die Güte des Baumes, der sie hervorbringt. Überträgt man dieses Bild auf uns Menschen, dann heißt das: Im Verhalten eines Menschen ist zu erkennen, wie es um sie oder ihn bestellt ist.
Das kennen wir von uns selbst. Manchmal fragen uns Menschen: Bist du heute schlecht drauf? Es gibt eine Brücke zwischen unserem inneren Erleben und dem, wie wir uns geben. Das ist gut so, vor allem, wenn uns andere auf unseren inneren Zustand hinweisen. Denn das ermöglicht es uns, unser Inneres anzuschauen und dem Luft zu machen, was uns belastet. Oder eben, unserem Reden und Tun wieder eine andere Richtung zu geben.
Die Rebzweige bringen aber nicht allein ihre Frucht hervor. Sie sind verbunden mit dem Weinstock. Auch das ist ein Bild, das auf uns Menschen zu übertragen ist. Wie wir leben und handeln, hängt nicht nur von der Situation ab, in der wir uns gerade befinden. Es gibt in uns so etwas wie Grundüberzeugungen, denen wir folgen. Wir haben im Leben durch eigene Erfahrung und das Vorbild anderer Menschen gelernt, wie man gut und sinnvoll mit sich und seinen Mitmenschen umgeht. Es gibt das Leben nach Menschenart, von der ein Anders Breivik in seiner Tat weit abgekommen ist.
Viele Christen haben sich entschieden, mit Jesus verbunden zu sein. In Jesus hat Gott gezeigt, wie er sich den Menschen gedacht hat. Jesus ist daher ein Vorbild für uns. Er nimmt seine Mitmenschen liebevoll wahr und ernst. Und dadurch hilft er den Menschen, denen er begegnet, dabei, selbst menschlicher zu werden. Durch Jesu Worte und Taten spüren die Menschen Gottes Zusage: Du bist angenommen und geliebt. Das heilt die, die gelähmt, taub und stumm, an den Rand gedrängt und missachtet sind.
Die Bibel berichtet: Jesus hat sogar für die Menschen gebetet, die ihn ans Kreuz geschlagen haben. Selbst im Sterben ist Jesus seiner Überzeugung treu geblieben. Er hat dem Hass, dem Bösen widerstanden. Jesus lebt. Das feiern wir in dieser österlichen Zeit. Gott hat Jesus gerettet. Uns ist damit gesagt: Jesu Art und Weise zu leben und den Mitmenschen mit Liebe und Respekt zu begegnen, ist der einzige Weg, der, manchmal auch gegen Widerstände, zum Guten und zum Leben führt.
Das Böse in unserer Welt darf nicht verschwiegen werden. Es steckt auch in jedem von uns. Aber manchmal bekommt man den Eindruck, dass zu viel Negatives uns in den Medien begegnet. Umgang prägt!, auch der mit Nachrichten und Bildern. Und, das Böse triggert. Vielleicht können wir bewusst in unserem Medien-Konsum öfter und mehr das Gute und Menschliche zu schauen. Das Brutale gleich zu Beginn weiter zu swipen und die guten Berichte bis zum Ende schauen. Dann wird der Tiktok-Algorithmus auch mehr positive Meldungen anzeigen, und das Menschliche geht viral, nicht das unmenschliche. Die selbstkritische Frage der Medienleute am Beginn des Breivik-Prozesses könnte der Einstieg in ein solches Umdenken sein.
Pater Michael Stutzig SDB